„Ich habe die ganze Zeit nur hysterisch gekichert“
Kurzes Gespräch zwischen Elfriede Jelinek und Milo Rau
Milo Rau: Du hast „Burgtheater“ Anfang der 80er geschrieben und veröffentlicht, nach der Uraufführung in Bonn 1985 gab es einen gewaltigen Skandal, und du hast das Stück für weitere Aufführungen gesperrt. Was ist damals passiert?
Elfriede Jelinek: Ja, ein Skandal war es, und zwar ohne daß die Leute das Stück gekannt hätten, es wurde ja in Bonn uraufgeführt, und es war nur in den "manuskripten" abgedruckt, die eine Literaturzeitschrift sind, eigentlich nur für einen engen Kreis an Interessierten. Ich habe mir damals gedacht: Auch wenn die Leute es hassen, sagen muß ich es doch wohl dürfen! Das war echt ein Einschnitt in meinem Leben, auch für mich als Person. Ich sage immer, damals habe ich meinen guten Namen verloren und war abgestempelt für den Rest meines Lebens.
Milo: Du hast verschiedene Stücke über die Macht der Schauspieler:innen geschrieben, „Burgtheater", aber auch zum Beispiel die „Erlkönigin“. Birgit Minichmayr, die in meiner „Burgtheater“-Inszenierung die Paula Wessely-Figur spielt und auch deine „Erlkönigin“ gespielt hat, hat es in einem Gespräch so formuliert: Wessely nimmt die Emotionen aus den Herzen der Menschen und legt sie in die Hände der Macht. Ich arbeite ja ständig mit Schauspieler:innen, mein halbes Leben besteht aus Gesprächen und Proben im Theater. Was interessiert DICH so sehr an dieser Figur, bzw. der Rolle oder Existenzform der Schauspieler:innen? Und warum taugt diese Existenzform so sehr zum Mitläufertum?
Elfriede: „Ich nehme die Emotionen, die Selbsterhebung der Macht und lege sie in die Herzen der Menschen, die sich dann erhoben fühlen können“: Genau das haben diese SchauspielerInnen in der Nazizeit getan. Sie haben die brutale Macht der Nazis genommen und sie in die Herzen der Menschen gelegt und dort verankert (und diese damit vergiftet). Die Theaterkunst der damaligen Zeit war entweder Propaganda, so wie eben "Heimkehr", meiner Ansicht nach der schlimmste Propagandafilm des Dritten Reichs, und Paula Wessely war die bestbezahlte Schauspielerin, weil sie eben diese Macht in falsche Innigkeit gekleidet hat, den berühmten "Herzenston". Die haben schon gewußt, wen sie an ihr haben. Macht wird zu (falschen, das hat Sentimentalität so an sich) Gefühlen, Gefühle werden zu Gefühligkeiten. Die zweite Schiene, und das war die Spezialität der Wien Film, waren die heiteren Ablenkungsfilme mit Wiener Humor und schelmischen Gesangseinlagen. Es gibt genug theoretische Abhandlungen darüber, daß die Unterhaltungsindustrie dieser Zeit die Aufgabe hatte, die Menschen irrezuführen und vom Kriegsgeschehen und den Brutalitäten abzulenken. Und niemand mußte mehr "bei Juden kaufen"! Das waren die süßen Wiener Zuckerln - eben unsere Spezialität! Und es gibt auch Studien dazu, wie der Nazi-Unterhaltungsfilm sich nahtlos in der Nachkriegszeit (es waren ja dieselben Leute, die diese Filme drehten, während die Emigranten kaum Gelegenheiten zu drehen bekommen haben) fortgesetzt hat: dieselbe Ästhetik, ein süßer Einheitsbrei, der über alles gekippt wird und es vollends ungenießbar gemacht. Im TV wurden noch lange an Samstagen am Nachmittag Nazifilme gezeigt, scheinbar harmlos, aber vergiftet, wenn man sie decodiert hat. Gustav Ucicky konnte schon mit "Cordula" 1950 seine "Heimkehr"-Scharte scheinbar auswetzen und einen verlogenen Friedensfilm drehen, in derselben Besetzung! In der Vergnügungsindustrie gabs eben keine Entnazifizierung. Das war dann halt Friedenskitsch - ganz wie gewünscht! Warum also mein Interesse für Schauspieler:innen? Ich habe mich an "Mephisto" von Klaus Mann orientiert, der einen Roman über den Mitläufer Gustav Gründgens geschrieben hat. Aber unsere, die österreichischen SchauspielerInnen waren keine Mitläufer:innen, sie waren Täter:innen. Und die hat niemand je vor ein Gericht gestellt.
Milo: Der erste Teil von „Burgtheater“ spielt Anfang der 40er Jahre: Die an den Wessely-Hörbiger-Clan angelehnte Schauspielerfamilie bereitet sich auf die nächsten großdeutschen Aufgaben vor und verprügelt bzw. ermordet einen allegorischen Alpenkönig, der Geld für den Widerstand sammelt. Im zweiten Akt, angesiedelt kurz vor der Befreiung Wiens durch die Rote Armee, möchte man panisch einen "Burgtheaterzwerg“ - einen versteckten Juden - beschützen, damit er sich bei den neuen Machthabern für die Familie einsetzt. Ich persönlich finde ja den zweiten Akt besonders prophetisch, es kommt mir vor, als hättest du damals in die Zukunft geschaut: Als ich 2024 nach Österreich kam, hat mich verwirrt, wie selbstbewusst sich die neuen Faschisten den Holocaust, das Verbrechen ihrer Grosseltern angeeignet haben. Der FPÖ-Extremist Strache, der morgens „Gebt Gas, ihr Germanen, wir schaffen die 7. Million“ singt und nachmittags nach Yad Vashem fährt, der rechtsradikale FPÖ-Politiker Rosenkranz, der am Holocaust-Gedenkmal in Wien einen Kranz niederlegen will...
Elfriede: Man darf nicht vergessen, von wem die FPÖ gegründet worden ist. Von ehemaligen Nazis, die dort ein Sammelbecken gefunden haben (VdU - Verband der Unabhängigen), es waren Deutschnationale, nd deutschnational samt dazugehörigem Liedgut sind sie geblieben, gegen die Fremden, die Asylanten, die Ausländer allgemein, gegen die sie das Schwert, äh, den Degen des Deutschen erheben und damit diese wunderbare Sprache, die ja mein Arbeitsmaterial ist, schänden. Das Deutsche hat diese dumpfen Ressentiments – oft aus der Provinz, die ja ihre "Reinheit" gegen den Schmutz und die Verseuchtheit und Unübersichtlichkeit der Großstadt Wien dauernd in Stellung bringt, in gutturalen Dialekten, die außer ihnen nicht viele Leute verstehen. Aber sie fühlen sich trotzdem als Nabel der Welt – nicht verdient. Man muß es gegen die Deutschnationalen in Schutz nehmen, wie man ja auch die Freiheit vor den Freiheitlichen in Schutz nehmen muß. Haider hat die österreichische Nation eine Mißgeburt genannt! Eine andere Absurdität, aber keine lustige, ist, daß Strache, Mitglied einer schlagenden Pennälerverbindung namens Vandalia, wo er die berüchtigten deutschen Recken (Küssel und Co.) kennengelernt hat, daß er also, als er Yad Vashem besucht hat, statt einer Kippa oder einer andren neutralen Kopfbedeckung die Mütze mit Couleur dieser deutschnationalen Verbindung getragen hat – eine Verhöhnung und Herausforderung an die Gastgeber, die das vielleicht gar nicht verstanden haben, weil sie solche Gebräuche ja nicht kennen.
Milo: Nun bringen wir dein Stück im Burgtheater selbst auf die Bühne, 40 Jahre nach der Sperrung. Warum hast du dich entschieden, dass jetzt der richtige Moment ist? Und, vielleicht drin vermischt: Was ist das Burgtheater für dich, was ist das für ein Ort - und was macht, idealerweise, die Doppelung von Stück und Ort mit der Inszenierung?
Elfriede: Na ja, der richtige Moment ist mir dir gekommen, Milo. Ich hätte es nicht mit jedem, mit jeder gemacht. Das Burgtheater ist für mich Ort der Kindheit und Jugend. Ich bin im achten Bezirk aufgewachsen, zu Fuß war das eine Viertelstunde. Ich habe dort alle die Legenden gesehen, Oskar Werner, Werner Krauss (alter Nazi, das hat mich damals aber nicht interessiert, ich wußte das gar nicht), Alma Seidler, Käthe Gold, Walther Reyer, in den ich damals verknallt war, etc. Und ich habe Stücke gesehen, die mich doch geprägt haben, Shakespeare vor allem, von dem ich nicht wagen würde, auch nur ein Zitat zu verwenden, weil mich sonst ein Blitz erschlagen würde. Er ist Gott. Aber auch Stücke, die seit Jahrzehnten nicht mehr aufgeführt wurden. Zum Beispiel Grillparzers "Weh dem, der lügt", das wäre mal ein interessantes Stück für Politiker, aber auch für die genießende Klasse, für die Kochen sehr wichtig ist! Und die Lügner gewinnen natürlich, auch wenn man ihnen ein ethisches Zwangskorsett überstülpt.
Milo: Wenn du das Stück heute wiederliest – und wir haben ja Passagen wiedergelesen zusammen, Birgit hat mir erzählt, ihr habt auch zusammen reingelesen, und in der „Burgtheater“-Inszenierung, also unserer Fantasie über Mitläufertum damals und heute, kommen lange Passagen vor. Und damit nicht genut: Ehrlich gesagt planen wir eine Total-Lektüre, eine szenische Lesung des ganzen Stücks mit allen Schauspielerinnen für dich: Was hältst du heute davon? Mir ist aufgefallen, dass du es sehr lustig findest, wir mussten viel lachen…
Elfriede: Das wäre wirklich toll! Das wäre die ultimative Goldene, eigentlich Platinene Schallplatte für mich! Es ist ja schon oft so gewesen, daß die Leseaufführungen im Grunde die besten Aufführungen waren. Peinlicherweise muß ich gestehen, daß ich das Stück jetzt, nach mehr als 40 Jahren, selbst wieder gelesen und die ganze Zeit nur hysterisch gekichert habe. Das mit der Kunstsprache war wirklich die richtige Idee dafür, die mir damals von irgendwoher zugeflogen ist. Man darf dabei nur nicht in die echte Mundart hineinfallen. Man sollte nicht über die eigenen Sachen lachen, aber es war ja niemand dabei. Und es ist ja auch nichts dabei.
Gespräch geführt am 24. Dezember 2024