Lea Ypi: Rede an Europa 2025 zu Migration
Heute Abend würde ich mit Ihnen gerne über Migration und Identität sprechen. Vielleicht ist es am besten, dieses Gespräch zu beginnen, indem ich mich vorstelle.
Mein Name ist Lea Ypi. Ich werde oft vorgestellt als Philosophin, Schriftstellerin, als albanische Staatsbürgerin, als eingebürgerte Britin. Wenn ich mit Frauen spreche, werde ich als Frau, manchmal als berufstätige Frau, vorgestellt. Wenn ich mit Müttern spreche, werde ich als Mutter vorgestellt. Manchmal werde ich als Albanerin aus einer muslimischen Familie vorgestellt, und manchmal als etwas gänzlich anderes als als Muslimin, auch wenn der Anfangsbuchstabe „M“ erhalten bleibt: als Marxistin. Oder: als Migrantin.
Aber ich würde gerne woanders beginnen. Nicht damit, was ich bin oder was andere mir zuschreiben, sondern damit, was ich gerne wäre. Und wie der Zufall es will, ist das, was ich sein möchte, auch das, was ich mir für Europa wünsche.
Also: Was will ich sein? Was sollte Europa meiner Meinung nach sein?
Eine Statue. Oder, um genauer zu sein, der Geist, den diese Statue verkörpert.
Wie Sie wahrscheinlich wissen, kommt der Begriff „Statue“ vom lateinischen „stare“, was so viel bedeutet wie stehen, weil Statuen an einem festen Ort stehen. Es kann jedoch auch auf ein anderes Wort mit demselben Wortstamm verweisen: Status. Status verstanden als „Stand“, das Innehaben einer bestimmten Position als Symbol einer bestimmten Art des Seins.
Statuen stehen nicht einfach da, damit wir sie betrachten können, oder, wie heutzutage üblich, um Selfies vor ihnen zu machen. Indem Sie eine Handlung oder die Person darstellen, symbolisieren sie einen bestimmten Status, einen Zustand: einen Zustand, der es verdient, in Erinnerung behalten und von uns in irgendeiner Form weitergetragen zu werden.
Der Zustand, von dem ich möchte, dass ihn Europa reflektiert, ist der Zustand des Menschseins, und zwar nicht im Sinne dessen, was Menschen sind, sondern was sie sein könnten. Nicht in der Realität, sondern als Ideal.
Die Statue, die ich als Symbol dieses Zustands im Sinn habe, ist eine Statue, die Sie alle kennen. In der Tat können Sie sie in diesem Moment bewundern (aber bitte heben Sie sich die Selfies für später auf). Sie befindet sich vor mir und hinter Ihnen, hier auf dem Judenplatz. Wenn Sie Ihren Kopf drehen und über Ihre Schultern blicken, werden Sie sie nicht übersehen können.
Diese Statue stellt einen Mann dar, der auf einem Podest steht. Sein rechtes Bein ruht leicht erhoben auf einer Stufe, der Ballen seiner rechten Hand ist ganz geöffnet. Die Hand ist leicht gereckt und nach vorne ausgestreckt, so, als wolle er die deinige schütteln, sich dir öffnen und signalisieren, dass er dein Freund ist. Er blickt auf den Betrachter herab, aber nicht auf arrogante, paternalistische oder abwertende Weise. Er vermittelt Anteilnahme, aber auch tiefe Besorgnis.
Diese Statue ist jene des Schriftstellers Gotthold Ephraim Lessing. Lessing war einer der namhaftesten Vertreter jenes Zeitalters, das wir „die Aufklärung“ nennen. Die Aufklärung wird manchmal als “Zeitalter der Vernunft” bezeichnet und manchmal in dem Sprichwort sapere aude zum Ausdruck gebracht – habe den Mut, dich deines eigenen Verstandes zu bedienen, und zwar aus einem Gemeinsinn heraus, jenseits festgeschriebener Identitäten und sozialer Rollen.
Die Aufklärung wird heutzutage oft geschmäht, sowohl von rechts als auch von links. Von der Rechten, weil kritisches Reflektieren, der „Mut, sich seines Verstandes zu bedienen“, schon immer eine Bedrohung für die passive Unterwerfung gegenüber Autorität bedeutet hat, die für die Normalisierung von Ausgrenzungen erforderlich ist. Aber auch von vielen Vertreter:innen der postkolonialen Linken wird sie geschmäht. Sie machen die Aufklärung für die Grausamkeit, Unterdrückung und den Paternalismus, die die Begegnung europäischer Staaten mit anderen Teilen der Welt oftmals geprägt haben, verantwortlich.
Diese Haltung ist zwar nicht gänzlich falsch, aber auch nicht besonders nuanciert. Natürlich stimmt es, dass die Aufklärung von den herrschenden Eliten letztlich für ihre ausbeuterischen, „zivilisatorischen“ Missionen instrumentalisiert wurde, doch in ihren Anfängen verkörperte sie eine höchst subversive Haltung. Es gibt keinen besseren Beweis dafür als Lessing selbst. Zu seinen Lebzeiten wurden seine Schriften verboten, und nach seinem Tod führte die Kontroverse über seinen angeblichen Pantheismus zu einem großangelegten Angriff auf die aufklärerische Idee der Vernunft. Dieser Angriff wurde in den folgenden zwei Jahrhunderten von Reaktionären aller Art fortgeführt und gipfelte im faschistischen Europa der dreißiger Jahre in einem vollumfänglichen Verbot der Werke Lessings. Diese Statue ist eine Rekonstruktion: Das Original wurde von den Nazis entfernt und 1939 eingeschmolzen.
Eines der bekanntesten Stücke Lessings, “Nathan der Weise”, spricht einige der Themen an, die ich in meiner heutigen Rede an Europa behandeln werde: Identität und Vertreibung, Kultur und Konflikt, Migration und Kosmopolitismus. Das Stück spielt in Jerusalem während eines Kreuzzuges und seine Hauptfigur, Nathan der Weise, ist ein Jude, der unter muslimischer Herrschaft lebt und ein verwaistes christliches Mädchen wie sein eigenes Kind aufzieht. Seine eigene Familie, seine Frau und seine sieben Söhne wurden von Christen ermordet. Sein Haus wurde in seiner Abwesenheit niedergebrannt. Und dennoch hegt Nathan keine Ressentiments gegenüber Christen oder Muslimen. Er verweigert es, durch seine Identität definiert zu werden und beharrt darauf: „Es genügt, ein Mensch zu heißen“.
Eines Tages wird Nathan vom Sultan vorgeladen, der ihn dazu befragt, welche der drei großen monotheistischen Religionen – Christentum, Judentum oder Islam – die beste sei. Er erklärt geduldig, dass die rechte Antwort darauf nicht in der Vergangenheit, sondern in der Zukunft zu suchen sei. Dies könne nicht auf konservative Weise mit Rückgriff auf Tradition, bestehende Werte und Überlieferung entschieden werden, so Nathan.
Für jeden Menschen, dem man beigebracht hat, die eigene Tradition zu ehren und den Feind auf eine bestimmte Art und Weise zu betrachten, wird die jeweils eigene Geschichte überlegen wirken, von außen betrachtet jedoch gänzlich anders erscheinen. Die Wahrheit aller Kultur, sofern man überhaupt von Wahrheit sprechen kann, lässt sich, so Lessing, nur ausmachen, wenn man den Blick erweitert und ihn nach vorne richtet: über eine beständige Prüfung, welche Kultur die Tugenden der Menschlichkeit an den Tag legt; Vorurteile abbaut; die in ihren Gründungstexten verheißene Liebe zeigt; die Toleranz bei künftigen Generationen fördert. Tatsächlich verweigert es Nathan über das gesamte Stück hinweg, in eine Schublade gesteckt zu werden. „Wir müssen, wir müssen Freunde sein”, antwortet er einem Tempelherrn, der ihn zu seiner Identität befragt. „Wir haben beide uns unser Volk nicht auserlesen. Sind wir unser Volk? Was heißt denn Volk? Sind Christ und Jude eher Christ und Jude als Mensch?”, fragt er.
Es gibt nur eine Stelle im Stück, an der Nathan der Weise die Fassung zu verlieren scheint. Dies geschieht in den ersten Zeilen, als er von seinen Wanderungen zurückkehrt, und eine Frau, die ihn grüßt, ausruft: „Dass ihr doch endlich einmal wiederkommt!“. Und Nathan rügt sie: „Ja“, scherzt er, “Doch warum endlich? (…) Hab ich denn eher wiederkommen wollen? Und wiederkommen können?”. Er sei “den Weg, bald rechts, bald links zu nehmen (…) genötigt worden“.
Wie Sie hier sehen können, gibt es eine Kategorisierung, eine Identität, die Nathan der Weise nur schwerlich zurückweisen kann. Und das ist seine Identität als Migrant, genauer gesagt als Migrant, der keine andere Wahl hatte als zu wandern, denn vertrieben zu werden ist wohl kaum ein Akt des freien Willens.
Ein:e Migrant:in ist sowohl ein Weltbürger:in als auch weltenlos. Ein:e Migrant:in ist sowohl weltoffen als auch von der Welt entfremdet. Ein:e Migrant:in muss dazu bereit sein, alles in sich aufzunehmen, was ihm oder ihr fremd erscheint, vertraute Verhaltensweisen zu verlernen und sich neue anzueignen. Doch ein:e Migrant:in muss auch mit der dauernden Angst leben, vielleicht nie ganz dazugehören zu können. Für eine:n Migranten:in ist Zugehörigkeit ein Bestreben, etwas, das für Lessing den Geist des aufklärerischen Kosmopolitismus einfängt.
Dennoch: Nathan ist ein guter Migrant. Erstens, weil er die Gesetze der Länder, die er besucht, achtet. Zweitens, weil er wohlhabend ist. Und drittens, weil er nicht versucht, sich anderswo niederzulassen und schlussendlich, wenn auch nach langer Zeit, wieder nachhause zurückkehrt.
Heute Abend möchte ich mit Ihnen nicht nur über die guten Migrant:innen sprechen, sondern auch über die vielen schlechten, die mir begegnet sind. Ich möchte mit Ihnen im Geiste Lessings darüber sprechen, wie sinnlos es ist, Kategorien von Gut und Böse anzuwenden, wenn es um Migration geht; und darüber, wie gefährlich es ist, es doch zu tun, weil wir uns dann in einer Situation wiederfinden können, die die Zukunft aufkündigt und uns in vergangene Zeiten zurückwirft.
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Als ich in den 1990er Jahren in Albanien aufwuchs, war der Vater einer meiner besten Freunde ein Schlepper. Wir nannten ihn „Ben der Lahme“. Ben der Lahme war nicht immer Schlepper gewesen. Vor dem Übergang des Landes vom Kommunismus zum Liberalismus arbeitete er im Schichtdienst in der Werft, wo er Fischernetze fertigte und Boote neu lackierte.
Ben sah nicht aus wie ein Schlepper – er war sehr klein und bleich und humpelte. Er hatte sich den Beruf des Schleppers nicht ausgesucht – die Privatisierungsreformen, die mit dem Aufkommen des politischen Pluralismus einhergingen, zwangen die Werftmanager zu Entlassungen, sodass Ben und seine Frau arbeitslos wurden. Er selbst verstand sich auch nicht als Schlepper: Für ihn war es ein Job wie jeder andere. Er wurde dafür bezahlt, Menschen auf Beibooten nach Italien zu bringen, und er brauchte das Geld, um seine Kinder zu ernähren.
Er hatte ein wenig Angst, aber er schämte sich nicht ob dieser Tätigkeit. Jahrzehntelang waren die Menschen in Albanien bei dem Versuch, die Grenze zu überqueren, von ihrem Staat ermordet worden. In den sehr seltenen Fällen, in denen ihnen die Überquerung gelang, wurden ihre zurückgebliebenen Verwandten deportiert. Nun endlich waren sie frei, und Ben der Lahme half ihnen, ihre Träume wahr werden zu lassen. Wenn er darüber sprach, schwang ein wenig Stolz in seiner Stimme mit.
Eines Nachts verschwand Ben der Lahme und kam nie wieder zurück. Einige sagten, er sei getötet worden, andere, er sei im Adriatischen Meer ertrunken und von denselben Fischen, für die er die Netze gefertigt hatte, gefressen worden.
Irgendwann, viel später, gab es eine Beerdigung für ihn, eine Beerdigung ohne Leiche, mit einem leeren Sarg. Es kamen viele Menschen zur Beerdigung und sprachen ihre Dankbarkeit dafür aus, dass er ihren Verwandten zur Flucht verholfen und ihnen die Möglichkeit gegeben hatte, sich für ein anderes Leben, ein Leben im Ausland, zu entscheiden. Sie sprachen auch darüber, wie sich die Zeiten geändert hätten: wie es Albaner:innen nach dem Fall der Berliner Mauer möglich geworden war, das Land zu verlassen; wie der Migrationsdiskurs sich schlagartig änderte und wie ihnen im Westen nun viel feindseliger begegnet wurde.
Ihre Haltung war leicht zu verstehen. In der Vergangenheit wurde uns in Albanien gesagt, dass wir nicht reisen dürften, weil der Staat es uns nicht gestatte und uns Reisepässe verwehrte. Doch als der Kalte Krieg zu Ende ging, wurde der Staatssozialismus abgeschafft. Beinahe über Nacht erkannte der Staat das Recht auf Ausreise an. Und doch mussten Menschen erfahren, dass es nicht ausreichte, über einen Pass zu verfügen. Man benötigt auch ein Visum, für dessen Ausstellung nicht der eigene, sondern ein anderer Staat zuständig war. Plötzlich waren alle Einschränkungen unserer Bewegungsfreiheit nicht mehr von unserem eigenen Staat, sondern von außen auferlegte.
Der Westen hatte Jahrzehnte damit zugebracht, den Osten für seine geschlossenen Grenzen zu kritisieren. Er finanzierte Kampagnen, die Bewegungsfreiheit einforderten und die Immoralität von Staaten, die das Recht auf Ausreise einschränkten, anprangerten. Exilant:innen wurden früher als Helden empfangen. Plötzlich änderte sich die Rhetorik. Helden wurden zu Kriminellen, zu gefährlichen Subversiven, die eine Gefahr für „the European way of life“ darstellten.
Und dennoch, wenn Freiheit ein Wert an sich ist, wenn Bewegungsfreiheit wichtig ist, dann sollte dies sowohl für das Aus- als auch das Einwandern gelten, es sollte keine Rolle spielen, ob man das eigene Land verlässt oder in ein anderes einreist. Wenn mir gesagt wird, dass ich diesen Platz verlassen kann, aber die Straßen, die aus der Stadt führen, gesperrt sind, kann ich mich dann wirklich frei bewegen? Gerade in jenem Moment, als die vormals sozialistischen Staaten ihre Bürger:innen nicht mehr an der Grenze erschossen, entsandten kapitalistische Staaten Boote, um ihre Meere zu bewachen. So oder so verloren Migrant:innen weiterhin ihr Leben. Lediglich die Farbe der Uniformen, die Flagge, unter der die Verbrechen verübt wurden, hatte sich geändert.
Grenzposten, Streifenboote, die Festnahme und Unterdrückung von Migrant:innen, die einst von den westlichen liberalen Staaten verurteilt worden waren, sind in denselben Staaten mittlerweile zu einer gängigen Praxis geworden. Sie werden nicht nur toleriert, sondern als Zeichen der Stärke gefeiert. Der Westen hat ein System perfektioniert, das die Verwundbarsten ausgrenzt und die Qualifizierten anzieht, während er gleichzeitig Grenzen verteidigt, um „unsere Lebensweise“ zu schützen. Doch diejenigen, die in den Westen einwandern wollten, taten dies, weil sie eben diese Lebensweise attraktiv fanden. Nicht nur stellten sie keine Gefahr für das System dar, sie waren dessen eifrigste Verfechter.
Seit dem Ende des Kalten Krieges ist Migration für viele Staaten der Erde gleichermaßen Segen wie Fluch geworden. Sie war ein Segen, denn ohne die Geldtransfers der Migrant:innen hätten deren Familien mit den verheerenden Auswirkungen der neoliberalen „Schocktherapie“-Reformen zu kämpfen gehabt, die einen gescheiterten isolierten kommunistischen Staat in ein blühendes kapitalistisches Paradies zu verwandeln versprachen.
Sie war ein Fluch, denn Lessing hat recht: Man sucht es sich nicht wirklich aus, ob man ein:e Migrant:in sein möchte oder nicht. Anders als Ihnen Anti-Migrations-Propaganda weismachen will, genießt es niemand, sich selbst in Gefahr zu bringen oder sein eigenes Land zu verlassen, nur um Leuten in einem anderen auf die Nerven zu gehen. Selbst wenn wir die Risiken unautorisierter Grenzüberquerungen beiseitelassen, selbst wenn es legale Einreiserouten gibt, so reißt Migration doch Familien auseinander und der Braindrain ist eine klaffende Wunde im Fleisch vieler Staaten. Jedes Jahr investieren sie in die Ausbildung von Ärzt:innen und Krankenpfleger:innen, die angelockt von höheren Gehältern und besseren Lebensbedingungen im Westen kurz nach ihrem Abschluss das Land verlassen.
Wenn Sie ein System der selektiven Immigration unterstützen und zustimmen, dass der Westen hochqualifizierte Migrant:innen anwerben soll, billigen Sie im Endeffekt eine Form der Ausbeutung. Migrant:innen arbeiten und zahlen Steuern, damit Kranke und Gebrechliche von Ärzt:innen und Krankenpfleger:innen verpflegt, damit eure Kinder von Lehrern betreut werden können. Krankenhäuser in Herkunftsländern leiden unter Engpässen, damit Patienten hier weiterhin adäquate Versorgung erhalten können. Die Bildung hier floriert auf Kosten der Schulen und Forschungszentren dort.
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Es wird behauptet, dass Grenzen das Problem unserer Zeit seien. Es stimmt, dass Grenzen ein Problem darstellen, aber nicht aus dem Grund, dass es eine zivilisatorische Frage gäbe, die beantwortet werden müsste, um festzulegen, wer dazugehört und wer nicht. Auch nicht, weil es ein Problem der kulturellen Anpassung einiger Gruppen gäbe. Und ganz bestimmt nicht, weil, wie Giorgia Meloni kürzlich Donald Trump erklärte, der „Westen“ „‘great‘ again“ werden müsse, und Migration dabei ein Hindernis darstellt.
Tatsächlich gibt es keine größere Beleidung für die Weisheit Nathans des Weisen, mit der ich diese Rede eingeleitet habe, als die Vorstellung, dass es eine einzige Zivilisation, eine einzige Lebensweise gäbe, die die Wahrheit und die Wertmaßstäbe des Zusammenlebens verkörpere. Auch die europäische Zivilisation kann das nicht für sich in Anspruch nehmen. Wie Nathan in Lessings Stück betont: „Ich weiß, dass alle Länder gute Menschen tragen“. „Ja“, antwortet der Tempelherr, „hier bald mehr, bald weniger als dort“. Doch auch das lehnt Nathan ab. Er weiß, dass Größe einen Preis hat, und dass der Preis der Hierarchisierung von Kulturen die Zerstörung des Anderen ist, die Zerstörung von jedem, der als Gefahr wahrgenommen wird, von jedem, von dem behauptet wird, er passe nicht dazu.
Wenn Sie sich fragen, wie hoch der Preis sein kann, blicken Sie einfach auf das Mahnmal hinter mir, ein Mahnmal für die Opfer des verheerendsten Versuches, etwas „great again“ zu machen, den die Menschheit kennt: das Holocaust-Mahnmal. Auch dieses ist ein Produkt europäischer, westlicher Werte. Es ist das Produkt eines Projekts, das die Gesellschaft von unerwünschten Elementen „reinigen“ wollte; von Jüdinnen und Juden, Kommunisten, Roma, Menschen mit Behinderung, Homosexuellen und allen anderen, die nicht passend erschienen.
In Europa muss jede Diskussion über Migration an dieser Stelle beginnen. Und nicht damit, zwischen guten und bösen Migrant:innen zu unterscheiden, zwischen nützlichen und unnützen, zwischen jenen, von denen wir profitieren, und jenen, die eine Last darstellen; zwischen Migrant:innen, die die Gesetze achten und jenen, die ihren eigenen Regeln folgen; zwischen Wirtschaftsflüchtlingen und Asylsuchenden; zwischen solchen, die nur vorübergehend hier sind und letztlich zurückkehren werden und jenen, die sich hier niederlassen wollen; zwischen Migrant:innen, die es verdienen, willkommen geheißen zu werden und jenen, die sich ihrer Ausweisung gegenübersehen. Mit der Migration als Problem abzurechnen, bedeutet zu verstehen, dass sie kein Problem an sich darstellt. Es bedeutet, zu verstehen, wie gefährlich es ist, die Rede von Migration als Problem im politischen Diskurs zu normalisieren.
Wenn wir uns mit Migration in Form von Zahlen und Bewegungsströmen beschäftigen, dann sehen wir, dass zwar die Zahl der Menschen, die außerhalb ihres Geburtslandes leben, gestiegen ist, dieser Anstieg jedoch proportional zum globalen Bevölkerungszuwachs und damit zu Migrationsströmen der Vergangenheit ist. Wenn wir uns ansehen, welchen Beitrag Migrant:innen in ihren Aufnahmeländern geleistet haben, gibt es wenig Evidenz dafür, dass sie eine Last wären. Migrant:innen wirken dem demografischen Wandel entgegen, zahlen in die sozialen Sicherungssysteme ein und unterstützen ihre Aufnahmegesellschaften. Ja, sogar irreguläre Migrant:innen tun dies, sofern ihnen die Möglichkeit der Legalisierung offensteht. Und natürlich stimmt folgendes: Wenn es leicht zugängliche Visa gäbe, würde so etwas wie irreguläre Migration gar nicht existieren.
Und dennoch wird Migration im politischen Diskurs noch immer als Problem beschworen.
Dieses Problem ist politischer und nicht kultureller Natur. Dass es ein Problem gibt, hat nichts mit Migrant:innen zu tun, sondern ausschließlich mit der Krise der liberalen Demokratie; einer Krise, die Migrant:innen nicht heraufbeschworen haben, und die sich auch nicht wegen ihnen verschärft (tatsächlich tragen sie eher dazu bei, sie zu entschärfen). Das Problem ist, dass die Rechte den Migrationsdiskurs beherrscht und dass es eine Unfähigkeit oder auch, um zur Aufklärung zurückzukehren, eine Mutlosigkeit gibt, sich kritisch des eigenen Verstandes zu bedienen und über die Ideologie und Propaganda, die uns Anderes weismachen möchte, hinauszudenken.
Doch eine Alternative lässt sich nur schwer ausmachen. Denn sogar diejenigen, die bestimmte Migrationsbestimmungen ablehnen, haben sich letztlich dieser Politik verschrieben; weil viele Progressive den Universalismus aufgegeben haben und statt das kulturelle Framing des Migrationsdiskurses zu hinterfragen, lediglich ihre eigene Version davon formulieren; weil die Linke die Sprache der Klasse aufgegeben und sich stattdessen die Sprache der Kultur zu eigen gemacht und eine sozioökonomische Problemdiagnose durch eine identitätsbezogene ersetzt hat.
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Seit langem versagen liberale Gesellschaften an vielen Fronten. Lassen Sie mich nur drei nennen. Erstens, das Versagen demokratischer Politik: eine immer größer werdende Kluft zwischen Repräsentierenden und den Repräsentierten; ein Parteiensystem, das zunehmend wie ein Wirtschaftskartell funktioniert; eine Beziehung zwischen Politiker:innen und Bürger:innen, die dem Verhältnis eines Unternehmens zu seinen Konsumenten ähnelt.
Zweitens, ein Versagen in Sachen sozialer Gerechtigkeit: ein Wirtschaftssystem, das nicht dazu in der Lage ist, die Bedürfnisse der Schwächsten (Staatsbürger:innen und solche, die es nicht sind) zu erfüllen, das Funktionieren dieser Wirtschaft im Sinne aller zu gewährleisten und Mechanismen zu entwickeln, mit denen den organisierten Interessen von Oligarchen, dem Großkapital, von wohlhabenden Gönnern, digitalen Unternehmensplattformen – kurzum, allen, die mit ihrem Geld politischen Einfluss erkaufen – entgegengetreten werden kann.
Drittens, ein Versagen der internationalen Solidarität; die Unfähigkeit, eine alternative Vision für eine Weltordnung zu entwerfen, inklusive einer Reform internationaler Organisationen, die tatsächlich die Interessen von schwachen Menschen wie Staaten repräsentieren; eine Weltordnung, die auf Kooperation und nicht auf Gegnerschaft beruht.
Die globalen Ungleichheiten, die zu asymmetrischer Migration führen, ergeben sich aus diesem komplexen Bild der Welt.
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Das Problem besteht meines Erachtens darin, dass wir ein Gesellschaftsmodell gewählt haben, das im Widerspruch zum Humanismus Lessings steht; ein Modell, bei dem das Verfolgen von Profitinteressen dazu führt, dass menschliche Beziehungen den Marktzwängen untergeordnet werden. Eine politische Gemeinschaft, die diejenigen, die nicht zu ihr gehören und Zugehörigkeit nicht für sich einfordern können, für ihr Versagen verantwortlich macht, vermeidet es, sich ihrer Verantwortung zu stellen: Sie kann weiterhin den Schwächsten die Schuld geben und so tun, als habe sie Lösungen parat, sobald „das Andere“ keine Bedrohung mehr darstellt.
Das Versprechen der Rechten lautet: Sobald die Frage der Zugehörigkeit beantwortet worden ist, werden sich sämtliche Konflikte unserer Zeit in Wohlgefallen auflösen.
Migration ist jedoch, wie bereits erwähnt, nicht die Quelle des Problems, sondern lediglich das Symptom einer Krise. Und darin liegt das Versagen der Alternativen. Die Frage des politischen Fortschritts wird über abstrakte Gesetze und Rechte verhandelt; als eine Frage dessen, wer Gesetze formuliert und erlässt, wer einbezogen wird und wer ausgegrenzt bleibt. Mit anderen Worten: Politischer Fortschritt ist zu einer Frage über die Regulierung der Bedingungen politischer Zugehörigkeit verkommen. Migration wird deshalb als Problem wahrgenommen, weil politische Zugehörigkeit als Lösung gesehen wird. Der Krieg der Kulturen ist deshalb so bedeutsam, weil es dabei um die Überwachung der Grenzen einer sozialen Gruppe geht, inklusive der Frage, wer in ihrem Namen sprechen darf. Wenn wir keinen Weg finden, anders über dieses Problem nachzudenken; wenn wir es nicht schaffen, die Rolle der Kultur und ihre Verbindung zur Demokratie und das Schicksal der Demokratie im Kapitalismus neu zu denken, ist es nur schwer vorstellbar, dass wir es schaffen eine Lösung zu entwickeln, die der Rechten nicht in die Hände spielt.
Und dennoch ist es nicht schwer, den Migrationsdiskurs der Rechten zu dekonstruieren. Grenzen als solche sind kein Problem, denn Grenzen waren schon immer (und werden es immer sein) für einige offen und für andere geschlossen. Die Herangehensweise der Rechten bestätigt diese Aussage.
Um dies deutlich zu machen, schauen wir uns zwei vorherrschende Tendenzen der jüngsten Zeit an. Der erste Trend betrifft die Ärmsten der Armen. Abgesehen von den aktuellen Bestrebungen, internationale Normen verletzend, abgelehnte Asylsuchende in Drittstaaten auszuweisen, ist der Weg zur Staatsbürgerschaft selbst für reguläre Migrant:innen nicht mehr gerade unkompliziert. Von Mindesteinkommensanforderungen für die Erlangung der Aufenthaltsgenehmigung bis hin zu Sprach- und Integrationsprüfungen bei der Beantragung der Staatsbürgerschaft können sich diese scheinbar harmlosen Maßnahmen in schier unüberwindbare Hindernisse verwandeln, die Neuankömmlinge dazu verdammen, in ihren Aufnahmegesellschaften dauerhaft Mitglieder zweiter Klasse zu sein. In dieser Hinsicht ist Migration nichts anderes als ein Krieg gegen die Schwächsten. Menschen, die kein politisches Mitspracherecht haben, lassen sich viel einfacher ausbeuten.
Der zweite Trend betrifft die sehr Wohlhabenden. Für sie sind Grenzen heute offener denn je, tatsächlich ist es immer einfacher geworden, eine Staatsbürgerschaft zu erwerben, indem man sie schlicht kauft. Betrachten Sie folgendes Beispiel aus der unmittelbaren Vergangenheit: Zeitgleich mit der Veröffentlichung von Videos durch das Weiße Haus, in denen irreguläre Einwanderer beim Besteigen von Abschiebeflügen buchstäblich in Ketten gelegt wurden, kündigte Donald Trump an, reichen Personen, die Golden Green Cards beantragen, den Aufenthalt in den USA und einen Weg zur Staatsbürgerschaft für 5 Millionen Dollar verkaufen zu wollen.
Dabei handelt es sich keineswegs um einen Einzelfall. Weltweit steht Finanzinvestoren, Immobilienentwicklern und Individuen, die bereit sind, sich gegen eine erhebliche Gebühr einen anderen Reisepass zu erkaufen, ein beschleunigtes und betreutes Verfahren zur Erlangung der Staatsbürgerschaft offen.
Beide Trends verweisen auf eine radikale Kehrtwende hinsichtlich unseres Verständnisses von Identität und Zugehörigkeit. Die Hoffnung der Sozialdemokratie im frühen 20. Jahrhundert bestand darin, dass die Demokratie zu einer Abschaffung von Klassen-, Geschlechter-, „Rassen“- und anderen Unterschieden führen würde. In den Worten des Gründungsvaters der Sozialdemokratie, Eduard Bernstein: „In der Demokratie lernen die Parteien und die hinter ihnen stehenden Klassen bald die Grenzen ihrer Macht kennen (…)“. Das Wahlrecht machte Bürger:innen zu Mitstreiter:innen in dem kollektiven Unterfangen, das Wohl der politischen Gemeinschaft als Ganzes zu fördern. Es war der Beginn eines Zeitalters, in dem Schranken in Bezug auf Eigentum, Alphabetisierung und Fachwissen infolge der politischen Mobilisierung für eine Ausweitung des Wahlrechts beseitigt wurden.
Die Voraussetzungen für solch eine optimistische Einschätzung, falls es dafür jemals eine Grundlage gegeben hat, sind mittlerweile weggefallen. Tatsächlich haben wir es mit einem exakt gegenläufigen Trend zu tun. Im goldenen Zeitalter der Ausweitung des Zugangs zur Staatsbürgerschaft versprach Demokratie, die politische Gemeinschaft von den potenziell destruktiven Auswirkungen des Klassenkonflikts zu heilen; im Zeitalter der Einschränkung des Zugangs zur Staatsbürgerschaft kann dieser Kampf nicht länger von Institutionen mediiert, er kann nicht länger über die herkömmlichen Kanäle der politischen Teilhabe eingehegt werden. Wenn die Staatsbürgerschaft einigen wenigen vorbehalten bleibt und zu einer Ware wird, die gekauft, veräußert und getauscht werden kann, wird Demokratie zu einer Form der Oligarchie, in der reiche Eliten die politische Macht in ihren Händen halten. Dann wird die Staatsbürgerschaft von einem Instrument der politischen Emanzipation zu einem Instrument der Unterdrückung.
Nach Bernstein wird dadurch der Klassencharakter des Staates nicht ausgehöhlt, sondern vielmehr gefestigt. Zu sagen, dass der Staat einen Klassencharakter hat, ist gleichbedeutend mit der Feststellung, dass der Staat seine Fähigkeit verloren hat, als politische Plattform zu fungieren, über die Konflikte zwischen sozialen Gruppen ausgeglichen und mittels demokratischer Repräsentation auf faire Weise geschlichtet werden. Stattdessen wird der Staat zu einem Instrument, das dazu dient, Mitglieder von Gruppen mit größeren Geld- und Machtreserven zu belohnen und alle anderen zu einzuschränken und zu bestrafen. Wenn die Staatsbürgerschaft gekauft und veräußert werden kann, ist sie nicht länger ein Mittel, um über die Gewährleistung demokratischer Repräsentation Marktexzesse abzufedern, sondern wird zu einer Ware unter anderen.
Während Progressive in der ganzen Welt immer noch Lippenbekenntnisse zum emanzipatorischen Ideal der Staatsbürgerschaft abgeben, bleiben sie bemerkenswert still, wenn es um diesen, auf Ausgrenzungstendenzen beruhenden Wandel der Staatsbürgerschaft geht. Weder in den offiziellen Grundsatzpapieren der Sozialdemokratie noch in den Wahlprogrammen der Linksparteien scheint es darum zu gehen, Maßnahmen zu entwickeln, die diesem aktuellen Trend entgegenwirken und Abhilfe schaffen könnten. Die Degradierung der Demokratiepolitik zu einer Ethnopolitik und die Reduzierung von dem universellen, progressiven Ideal der Staatsbürgerschaft auf ein partikularistisches, konservatives Konzept schreitet weitgehend ungehindert voran.
Was ist nötig, um eine wirkliche Alternative zu entwickeln? Man darf nicht mitspielen. Man darf nicht zulassen, dass Demokratie auf Zugehörigkeit und der politische Konflikt auf einen kulturellen reduziert wird. Man muss die Frage der Migration im Kontext umfassender sozialer Ungerechtigkeit sehen, als hervorgebracht vom Niedergang des Wohlfahrtsstaates, gefolgt von der ungestraften Profitgier von Arbeitgebern, die die Armen (ob Einheimische oder Einwanderer) gegeneinander ausspielen. Es bedarf einer weiterführenden Diskussion der Frage, warum es überall auf der Welt Kriege gibt und inwiefern Waffenlieferungen zur Entstehung asymmetrischer Migrationsströme beitragen. Kurz gesagt, es ist eine Diskussion darüber erforderlich, inwieweit die Krise der Sozialdemokratie mit einer über Jahrzehnte verfolgten Sozial- und Wirtschaftspolitik im In- und Ausland zusammenhängt, die darauf ausgerichtet ist, das organisierte Kapital zu stärken und die Schwachen zu entmündigen, und nicht mit der Zunahme kultureller Konflikte.
Noch einmal, das Problem besteht nicht einfach in der Existenz von Grenzen oder der Existenz von mehr oder weniger offenen Grenzen, wie manche das Migrationsdilemma gerne darstellen. Das Problem ist, dass Exklusionsmechanismen innerhalb von Staaten wie zwischen Staaten einander dabei stützen, einer im Kern unhinterfragten Wirtschaftsordnung zu dienen und sie weiter zu stärken. Die Praxis, die Staatsbürgerschaft an die Reichen zu verkaufen und den Zugang zu ihr für diejenigen zu beschränken, die über geringe materielle Mittel, Bildung oder staatsbürgerliche Fähigkeiten verfügen, verrät viel über das Verhältnis zwischen dem Kapitalismus und dem vorgeblich demokratischen Staat. Wenn wir die Art und Weise, wie wir diese Beziehung begreifen, nicht ändern, werden wir auf eine schiefe Bahn geraten, wobei zuerst die irregulären Migrant:innen dran sein werden, dann die ansässigen Nicht-Staatsbürger:innen und schließlich die Bürger, die Mohamed und Abdallah heißen, genauso wie früher die Goldschmidts und die Levis. Ist es so schwer vorstellbar, dass das geschehen könnte? Können wir sagen, dass wir so etwas noch nie erlebt hätten?
Zum Schluss möchte ich zu Lessing zurückkehren. Die kosmopolitische Haltung, die Nathan der Weise verkörpert, sollte nicht mit Samaritertum oder mit humanitärer Ethik verwechselt werden, die manchmal bemüht wird, um die Rechte von Migrant:innen zu verteidigen. Die Aufklärung war für viele ihrer Verfechter ein politisches und nicht nur ein moralisches Projekt; ein Projekt, das darin bestand, Institutionen zurückzuweisen, denen es nicht gelang, alle Menschen zu vertreten; in der öffentlichen Kritik von Vorstellungen, die eine ethnische, religiöse Gruppe oder eine „race“, eine Klasse oder eine politische Gemeinschaft gegenüber der anderen bevorzugte. Die Aufklärung forderte Menschen dazu auf, Werte zurückzuweisen, die einer vernunftgeleiteten Prüfung nicht standhalten; eine kritische Haltung gegenüber der Heuchelei der Mächtigen einzunehmen und sich jedem Anspruch auf Autorität zu widersetzen, auch der Autorität jener, die uns versichern, in unserem Interesse zu handeln. Diese Abkehr vom Geist der Aufklärung zu einem Zeitpunkt, an dem er am dringendsten benötigt wird, ist tragisch, aber nicht ganz zufällig. Gehorsam erfordert Ignoranz, Ignoranz fördert den Gehorsam. Und wir gewöhnen uns zunehmend daran, nicht eigenständig zu denken, sondern den vorherrschenden Trends zu folgen.
Dies ist, warum ich zunächst den Geist der Statue beschwor. Womöglich steckt in diesem Stein mehr Menschlichkeit als in den Handlungen vieler der heutigen europäischen Staats- und Regierungschefs. Die Werte, auf die sich Europa so stolz – so einhellig, so unkritisch – beruft, bedeuten nur sehr wenig, wenn sie nur für einige wenige gelten. Sie müssen auf einem umfassenderen Bekenntnis zu nationaler und internationaler sozialer Gerechtigkeit beruhen, zu einer Zukunft, die jede Sehnsucht nach vergangener Größe, jede Illusion zivilisatorischer Überlegenheit und jeden Kompromiss hinsichtlich globaler egalitärer und radikaldemokratischer Ideale entschieden zurückweist.
Die Migration und die Ungerechtigkeiten, die durch sie zutage treten, stehen an vorderster Front dieses Kampfes. Denn nicht die Verheißung, den Westen „great again“ zu machen, sondern das Bekenntnis zu Freiheit, Gleichheit und einer Welt, in der niemand gezwungen ist, seine Heimat zu verlassen, stellt die Versprechen Europas auf das Entschiedenste auf die Probe.