Zum Auftakt jedes Wiener Prozess-Wochenendes werden je zwei Personen des öffentlichen Lebens in der Box der Wahrheit befragt. Angeschlossen an einen Lügendetektor werden sie in 30-minütigen Sessions öffentlich verhört und moralische wie politische Konstellationen untersucht. Ausgehend von den Lebensgeschichten, Erfahrungen und Entscheidungen der prominenten Teilnehmer:innen wird die Box der Wahrheit zum Ort politischer Widersprüche und ethischer Dilemmata.
Zur Box der Wahrheit – Anschläge auf die Demokratie:
Kurz vor der Europawahl am 9. Juni deuten alle Umfragewerte auf einen fortschreitenden Trend nach rechts hin. In den Sonntagsumfragen zur Nationalratswahl liegt die FPÖ unter Herbert Kickl dem Vernehmen nach klar in Führung. Ist diese Partei „gegen das System“, die NS-Phantasien von einem „Volkskanzler“ bedient, Ausdruck einer gefährdeten, entkräfteten Demokratie? Was passiert, wenn sie tatsächlich in ein EU-Parlament gewählt wird, das FP-Kandidat Harald Vilimsky entmachten möchte? Ist die FPÖ, die sich als Hüterin der Antikorruption und der Sicherheit in einer Festung Österreich stilisiert, nicht selbst – wie viele Affären von Ibiza bis zur dubiosen Russland-Connections zeigen –, korrupt und ein Sicherheitsrisiko?
Am 7. Juni findet vor Beginn und während der Box der Wahrheit die Performance When the cat's away von Emma Ahka in Zusammenarbeit mit Clara Holzer und Aylin Mutluer statt.
Manfred Tisal, geboren 1953, wurde vor allem durch seine Rolle als „EU-Bauer“ beim alljährlich vom ORF übertragenen „Villacher Fasching“ bekannt. 2017 gab er das Ende seiner Auftritte in diesem populären Unterhaltungsformat bekannt. Der ORF hatte die Zusammenarbeit mit ihm beendet, wegen eines umstrittenen Facebookposting Tisals über Geflüchtete. In Folge ermittelte die Staatsanwaltschaft Klagenfurt gegen Tisal wegen des Verdachts der Verhetzung. Nach dem Ende seiner Tätigkeit für den ORF moderierte Tisal mehrere Wahlkampfveranstaltungen der FPÖ und schreibt für die FPÖ-nahe Wochenzeitung Zur Zeit. 2019 kandidierte er für die FPÖ bei der EU-Wahl. Seine Motivation beschrieb er auf seiner Homepage folgendermaßen: „Bestehendes zu verändern bzw. zu verbessern und Mitmenschen dazu zu bringen, sich mit ihren Meinungen, Vorschlägen und Wünschen aktiv einzubringen. Warum die FPÖ? Weil Harald Vilimskys Wahlprogramm am ehesten meinen Vorstellungen eine funktionierende EU betreffend entspricht.“ Tisal wuchs in Villach auf und absolvierte dort eine Lehre als Koch. Er war Moderator und Redakteur beim ersten privaten österreichischen TV-Sender Tele Uno und war freier Redaktionsmitarbeiter der Kleinen Zeitung in Villach. Seit 2000 ist er freiberuflich als Moderator, Autor und Kabarettist tätig.
Julian Hessenthaler, geboren 1980, wurde 2019 durch die Organisation des Videos bekannt, das die FPÖ demaskierte und die sogenannte Ibiza-Affäre auslöste. Diese führte im Mai 2019 zum Bruch der österreichischen Bundesregierung. In dem verdeckt aufgenommenen Video sind damalige ranghohe FPÖ-Mitglieder zu sehen, die ihre Bereitschaft zur Korruption, Umgehung der Gesetze zur Parteienfinanzierung sowie zur verdeckten Übernahme der Kontrolle über parteiunabhängige Medien zeigen. „Für seine Kritiker“, so der Falter, „ist Hessenthaler nur ein Halbweltler, der sich jetzt wichtigmacht. Für seine Fans hingegen ist er ein Rebell der Zivilgesellschaft, ein Guerillakämpfer für die Demokratie. Einer, der sich einen Orden verdient hätte, weil er Österreich gerettet hat.“ Seit der Veröffentlichung des Videos saß Hessenthaler insgesamt 42 Monate im Gefängnis wegen Vorwürfen des Drogenhandels und der (versuchten) Erpressung mit dem Video. Hessenthaler selbst sieht sich als Opfer einer Politik-Justiz und kämpft vor dem Europäischen Gerichtshof für sein Recht. Derzeit arbeitet Hessenthaler in einer Immobilienkanzlei. Zuvor gab er Sicherheitsberater als Beruf an und war, laut FM4, „wohl eine Art Privatdetektiv, verdeckter Ermittler für das Bundeskriminalamt […]“. An der Universität für angewandte Kunst leitete er ein Research Lab zum Thema Open Source Intelligence.
Verhör, Moderation Bibiana Beglau Dramaturgie Claus Philipp
Ein Projekt der Wiener Festwochen | Freie Republik Wien
Außerhalb der Performance Box der Wahrheit wird der Glascontainer vor dem MQ zum Friedhof der Republik gestaltet durch die Akademie der Bildenden Künste.