Zum Auftakt jedes Wiener Prozess-Wochenendes werden je zwei Personen des öffentlichen Lebens in der Box der Wahrheit befragt. Angeschlossen an einen Lügendetektor werden sie in 30-minütigen Sessions öffentlich verhört und moralische wie politische Konstellationen untersucht. Ausgehend von den Lebensgeschichten, Erfahrungen und Entscheidungen der prominenten Teilnehmer:innen wird die Box der Wahrheit zum Ort politischer Widersprüche und ethischer Dilemmata.
Zum ersten Prozess Wochenende Die verwundete Gesellschaft und der Box der Wahrheit:
Im Frühjahr 2020 kam es in Ischgl in Tirol zu einer gehäuften Ausbreitung von Covid-19-Fällen, in der Folge auch zu Infektionen im ganzen Land und ab 16. März zu einem ersten Lockdown. Rund drei Jahre lang wurden unterschiedliche und verschieden scharfe Anti-Pandemie-Maßnahmen verhängt, von einem „Lockdown für Ungeimpfte“, die 2-G-Regeln, Maskenpflichten bis zu einer vom Parlament beschlossenen, dann niemals vollzogenen Impfpflicht. Die Pandemie hat der Gesellschaft Wunden hinzugefügt und Narben hinterlassen: von Zerwürfnissen von „Maßnahmen-Befürworter:innen“ und „Maßnahmen-Gegner:innen“ bis hin zu politischen und wirtschaftlichen Konsequenzen, die bis heute bestehen und die die einen zu Gewinner:innen, die anderen zu Verlierer:innen der Pandemie machten. War die Gesellschaft, selbst wenn sie gerne Krisenszenarien heraufbeschwört, auf die tatsächliche Krise gar nicht vorbereitet? Haben sich zu viele unsolidarisch verhalten oder wurde zu viel verboten?
Veronica Kaup-Hasler
„Wir müssen anders darüber nachdenken, wie wir als Gesellschaft durch so eine Krise kommen.“ „Den Schutzschirm hat man versemmelt.“ „Wir sollten die wirklich großen Gewinner dieser Corona-Krise, die es ja auch gibt, und die Steuerflüchtlinge, durch die uns rund eine Billion Euro im Jahr verlorengeht, zur Kasse bitten“: Mit prägnanten Ansagen schärfte Wiens Kulturstadträtin Veronica Kaup-Hasler das Profil einer Politik konsequent gesteigerter Fördermittel und Überbrückungshilfen für die Wiener Kunst, Kultur und Wissenschaft. Wie verhielt es sich dabei mit der Solidarität zwischen Hoch- und Subkultur? Sieht Sie rückblickend eigene Versäumnisse, Ausblendungen und Fehleinschätzungen in den Zeiten mehrfach verordneter Lockdowns?
Heini Staudinger
Im September 2022 fragte ihn das Wochendmagazin profil: „Sie sind nach wie vor ungeimpft und stehen dazu. Sind Sie ein Kandidat für Impfgegner?“ Heini Staudinger war da gerade als Kandidat für das Amt des österreichischen Bundespräsidenten angetreten. Seine Antwort: „Ich bin kein Impfgegner. Ich habe alle möglichen Impfungen – von Kinderlähmung bis Tetanus. Aber mich stört die Propaganda rund um die Corona-Impfung.“ Und: „Als die sozialen Schäden der Maßnahmen sichtbar wurden, mit zerrissenen Familien und Depressionswellen, hätte ich eine strengere Prüfung der Maßnahmen auf soziale Folgen hin eingemahnt. Vom grünen Gesundheitsminister hätte ich mir erwartet, dass er für eine bessere Immunabwehr wirbt, etwa durch mehr Bewegung an der frischen Luft.“
Wie steht er heute zu einer Aussage wie: „Ich setzte die Maske nicht auf, weil ich bei einer solchen Absurdität nicht mitmache. Die Gesetzgebung ist gut beraten, mit der Vernunft der Menschen zu rechnen, sonst verliert sie die Menschen.“
Veronika Kaup-Hasler, 1968 in Dresden als Tochter einer ostdeutschen Sängerin und eines österreichischen Schauspielers geboren, wuchs seit 1970 in Wien auf. Ebendort schloss sie 1993 auch das Studium im Fach Theaterwissenschaft ab. Nach einem Engagement als Dramaturgin am Theater Basel (1993−1995) arbeitete sie von 1995 bis 2001 bei den Wiener Festwochen als Festivaldramaturgin und ab 1998 als künstlerische Mitarbeiterin von Schauspieldirektor Luc Bondy. Neben dieser Tätigkeit war sie von 1998 bis 2001 auch Lehrbeauftragte an der Akademie der bildenden Künste in der Meisterklasse von Erich Wonder. Von 2001 bis 2004 leitete sie das in Hannover und Braunschweig alle zwei Jahre stattfindende Festival Theaterformen. Ende September 2004 wurde Kaup-Hasler zur Intendantin des Gegenwartskunstfestivals steirischer herbst bestellt, das sie von 2006 bis 2017 leitete. Am 14. Mai 2018 wurde Kaup-Hasler vom designierten Bürgermeister Michael Ludwig als (parteilose) Wiener Kulturstadträtin vorgestellt und am 24. Mai 2018 bestellt.
Staudinger, geboren 1953 in Vöcklabruck, aufgewachsen in Schwanenstadt, hatte da längst eine legendäre Laufbahn als Unternehmer und grüner Vor- bzw. Querdenker hinter sich. 1980 begann er in einem Laden im 8. Wiener Gemeindebezirk mit dem Verkauf von Schuhen der dänischen Marke Earth Shoe: Das Schuhgeschäft entwickelte sich zum Unternehmen GEA (später GEA/Waldviertler) – mit Direktversand, Werksverkauf und Messen in Schrems, sowie über 50 Filialen in Österreich, Deutschland und in der Schweiz. Mit dem Kreditfall Staudinger wurde er 2012 zur Staatsaffäre und erhielt internationale Aufmerksamkeit. Weil er von seiner Hausbank keinen Kredit mehr bekam, lieh er mit einer Art Crowdfunding Geld von seinen Freund:innen und Kund:innen. Daraufhin wurde gegen ihn von der österreichischen Finanzmarktaufsichtsbehörde ein Verwaltungsstrafverfahren eröffnet. Als Teilnehmer der Bundespräsidentenwahl 2022 strich er als Kernthemen seine kritische Haltung gegenüber Kapitalismus, Konzernen, Ressourcenverbrauch und Vermögensverteilung hervor. Er erhielt 1,5 Prozent der Stimmen.
Verhör, Moderation Bibiana Beglau Dramaturgie Claus Philipp
Ein Projekt der Wiener Festwochen | Freie Republik Wien