Kunst und Kultur sind wertvoll. Der subtil vielschichtige Raum, den die zeitgenössische Kunst entstehen lässt, ermöglicht viele Entdeckungen. Davon überzeugt zeigen die Wiener Festwochen über einen Zeitraum von fünf Wochen ein reiches und internationales Programm, das 36 künstlerische Arbeiten in Wien vorstellt. Ein vielfältiges Spektrum neuer Theaterproduktionen, musikalischer Kompositionen oder Multimedia-Installationen macht es sich zur Aufgabe, die Stadt und ihre Bewohner:innen mit positiver, progressiver Energie aufzuladen.
Populistische Ideen haben in den letzten Jahren viel Zulauf erhalten. Schablonenhaft werden im öffentlichen Diskurs allzu oft simple und eindeutige Trennlinien gezogen, wenn es um die Wahrnehmung unserer überaus komplexen Welt geht. Die Wiener Festwochen möchten einen für Nuancierungen und Reflexion weit offenen Raum schaffen, in dem Künstler:innen facettenreich unbekanntes Terrain erforschen.
Sie bieten das Erlebnis einer Vielzahl konfrontativer und/oder atemberaubend schöner künstlerischer Visionen. Diese befassen sich mit dem ökologischen Notstand unserer Gegenwart, greifen geopolitische Krisen auf, sezieren die Klassengesellschaft … oder erzählen einfach nur den Verlauf eines Menschenlebens. Die Inszenierung eines einzigen Lebenswegs kann weitergehende gesellschaftliche Fragen anregen.
Die Lebenslinien realer oder fiktiver Gestalten der Vergangenheit, die Schicksale von Thomas Wiggins (Song of the Shank), Luigi Dallapiccola (Canti di Prigionia), Pinocchio oder Lulu können uns Zugänge liefern, um den gegenwärtigen Zustand der Welt zu erfassen.
Eine Neuinszenierung von Alban Bergs Oper Lulu ist einer der Höhepunkte des diesjährigen Festivals. Dieses Projekt entstand als Einladung der Wiener Festwochen an die Choreografin Marlene Monteiro Freitas und ist die erste Opernregie der Künstlerin – ein echtes Abenteuer! In ihren Arbeiten behalten Einfallsreichtum und ungezügelte Körperlichkeit stets die Oberhand und bieten sich als Ausweg aus sozialer und intellektueller Isolation an. Lulu beruht auf zwei Dramen von Frank Wedekind, die eine moralschwangere Gesellschaft zeichnen, welche das Individuum knebelt und mit der Illusion persönlicher Unabhängigkeit alleine zurücklässt. Wedekinds Streben nach dem Wahren, Wilden und Schönen erzeugt einen starken Widerhall im heutigen sozialen Klima, das von algorithmischen Kurven und virtuellen Kommentaren, häufig losgelöst von sinnlicher Erfahrung, bestimmt wird.
Das Festival bietet 2023 eine beachtliche Riege internationaler Theatergrößen. Alexander Zeldin, Susanne Kennedy, Milo Rau, Mariano Pensotti, Julien Gosselin und viele andere präsentieren ausnahmslos brandneue und ehrgeizige Werke, oft als Welturaufführungen.
Die jüngsten Arbeiten von Joël Pommerat, Anne-Cécile Vandalem und Kornél Mundruczó zählen zu den Theaterhöhepunkten der vergangenen Saisonen. Der bedeutende britische Regisseur Simon McBurney inszeniert einen Roman der Literaturnobelpreisträgerin Olga Tokarczuk, einer Autorin, die „neue Methoden, von der Welt zu erzählen“, einfordert. In vielen Geschichten dieser Welt, die im Rahmen der Wiener Festwochen 2023 erzählt werden, sind Vorfahrinnen – (Groß-)Mütter – die Hauptpersonen. Künstler:innen nehmen Bezug auf die Vergangenheit von Familienmitgliedern, fiktiven Alter Egos oder mythologischen Figuren in ihrer aktiven Suche nach alternativen Zukunftsvorstellungen. Neben diesen großformatigen Bühnenarbeiten gilt es auch, bemerkenswerte intime Stücke zu entdecken, entwickelt von in Wien wenig bekannten Regisseur:innen und Dramatiker:innen wie der im Iran geborenen Afsaneh Mahian und ihrem Landsmann Keyvan Sarreshteh oder Mikheil Charkviani aus Georgien.
Einen Ehrenplatz gibt unser Programm der Musik und den vielfältigen Wegen, sie in Szene zu setzen. Drei außergewöhnliche Produktionen – Auftragswerke der Festwochen – erforschen das subtile Aufeinandertreffen von Narrativ und Musik. Der Videokünstler Stan Douglas inszeniert eine neue Komposition von George Lewis, während sich der japanische Regisseur Toshiki Okada in seiner Suche nach einer Form des objektorientierten Theaters auf eine neue Partitur von Dai Fujikura stützt. Der kroatische Choreograf Matija Ferlin setzt Luigi Dallapiccolas ergreifende Canti di Prigionia (Gesänge aus der Gefangenschaft) in szenische Bilder um.
Darüber hinaus werden dieses Jahr sehr renommierte bildende Künstler:innen unsere Gäste sein. Neben Stan Douglas bringen auch Wu Tsang und William Kentridge visuell faszinierende Theater- und Musikwerke nach Wien. Weiters zeigt das Festival Sun & Sea, die aufsehenerregende, bei der Biennale von Venedig 2019 mit dem Goldenen Löwen ausgezeichnete Strandoper von Rugilė Barzdžiukaitė, Vaiva Grainytė und Lina Lapelytė sowie die erste österreichische Einzelausstellung von Laure Prouvost. Bekannt für ihre immersiven Installationen verbindet sie Sprache, Klänge und Materialien auf humorvolle und eigenwillige Weise.
Kunst und Kultur sind wertvoll! Wir hoffen, Sie bald bei den Wiener Festwochen 2023 begrüßen zu dürfen und miteinander ein zum Nachdenken anregendes und zukunftsorientiertes Festival entstehen zu lassen.
Herzlichst,
Christophe Slagmuylder
und das Team der Wiener Festwochen